Am 4. Jänner 2020 findet in Salzburg der Bundeskongress der Grünen statt, bei dem 276 Delegierte über den Regierungseintritt mit der ÖVP entscheiden werden. Ich bin einer von ihnen und befürworte die türkis-grüne Koalition.
Eine Herangehensweise:
Die Ausgangslage
Die Faktenlage nach der Nationalratswahl 2019 ist relativ klar:
- Mehr als 53% der Österreicherinnen und Österreicher haben eine rechte oder rechtsextreme Partei gewählt. Österreich ist rechts und wie man das Blatt dreht oder wendet: An dieser – zugegeben etwas knapp gefassten – Tatsache ändert sich nichts.
- Die 37,5% der ÖVP lassen eine Regierung ohne ÖVP de facto nicht zu. Kurz konnte eine Regierung mit der SPÖ, der FPÖ oder eben den Grünen eingehen. Wie auch immer diese Entscheidung ausgefallen wäre, Kurz wäre wieder Kanzler geworden, allfällige Neuwahlspekulationen außer Acht gelassen.
- Sowohl SPÖ als auch FPÖ haben sich – letztere sogar noch am Wahlabend – aus dem Spiel genommen. Kurz hat sich entschieden mit den zweiten Wahlgewinnern, den Grünen, in Koalitionsverhandlungen eintreten und da war und ist das Kräfteverhältnis relativ klar: Die ÖVP konnte 2,7 mal so viele Stimmen bei der Wahl erzielen als die Grünen. Alles andere als eine wie auch immer geartete “Dominanz” der ÖVP war also von Vornherein auzuschließen bzw. illusorisch.
Ein Kompromiss
Die Grünen haben sich mit der ÖVP an den Verhandlungstisch gesetzt und in mühevoller Arbeit fast 90 Tage lang ein 326-Seiten-starkes Regierungsprogramm ausgearbeitet, dass ein logischer Kompromiss ist.
So ein Kompromiss klingt sofort negativ, aber das ist falsch. Er gehört zum politischen Alltag und auch zum demokratischen Diskurs. Man kann einen politischen Kompromiss allerdings so umsetzen, dass man sich gegenseitig auf den kleinsten gemeinsamen Nenner herunterhandelt und dann fünf Jahre im Stillstand regiert (siehe Faymann II) oder aber man lässt beide Parteien wesentliche Teile ihres Wahlprogramms umsetzen und ja, in einer Demokratie ist wohl so, dass die stärkere Partei in einer Koalition mehr umsetzen kann als der Juniorpartner.
Das Umwelt- und Klimaprogramm ist wohl das umfangreichste und stärkste aller Zeiten, dafür wurden die Grünen auch gewählt.
Österreich wird klimaneutral und europaweit ein Vorreiter in Sachen Umweltschutz. Das ist zwar alles längst überfällig, aber besser spät als nie. Und gerade die SPÖ, die nun auf die Grünen hinhaut – scheinbar ohne das Programm gelesen zu haben – hatte viele Jahre lang in der Regierung die Chance, es besser zu machen.
Es werden Milliarden (!) in den Öffentlichen Verkehr investiert, von einer Million Photovoltaikanlagen ist die Rede. Und Österreich bekommt endlich seine ökosoziale Steuerreform samt CO2-Bepreisung.
Tanktourismus und Schwerverkehr, die vor allem den Westen belasten, werden reduziert, die NoVA angehoben und gespreizt, die Pendlerpauschale ökologisiert.
Österreich bekommt endlich sein 1-2-3-Ticket, mit dem man um 1095 Euro im Jahr in ganz Österreich öffentlich unterwegs sein kann – ein enormes Unterfangen, aber ein unglaublicher Meilenstein.
Österreich bekommt mehr Kindergartenplätze, Ganztagsschulen und vollfinanzierte Psychotherapieplätze. Ein Generalkollektivvertrag verhindert Niedriglöhne und in Unternehmen der öffentlichen Hand wird es erstmals eine Frauenquote von 40% geben. Ganz nebenbei wird auch noch die sogenannte “Tamponsteuer” abgeschafft.
Abgeschafft wird auch die Maklergebühr für Mieter, ebenso eine langjährige Forderung von SPÖ und Grünen, die nun umgesetzt und zur Entlastung vieler Menschen beitragen wird.
Und endlich wird es auch ein echtes Transparenzpaket geben, das diesen Namen auch verdient. Kurzum: Der Staat wird gläsern, nicht der Mensch.
Ein Erfolg
All das sind wirkliche Erfolge, die es in einer Regierung ohne die Grünen nicht gäbe. Davor müssen wir uns gar nicht verstecken.
Bemerkenswert ist auch all das, was sich nicht im Regierungsprogramm findet: Man vergleiche nur das Wahlprogramm der ÖVP mit dem jetzigen Koalitionspapier….
Der Fehler daran ist nur, dass wir es nicht gleich geschafft haben, diese wichtigen und zukunftsweisenden Maßnahmen auch von Vornherein als unsere Erfolge zu benennen und öffentlich zu kommunizieren. Stattdessen sind die Grünen seit Tagen kommunikativ in der Defensive und halten den Kopf für die Politik der ÖVP hin.
Zur Erinnerung: Knapp 1,8 Millionen Menschen haben im September 2019 ÖVP, samt aller Grausigkeiten, die sich jetzt auch zum Teil im Regierungsprogramm wiederfinden.
Nicht die Grünen sind für die ÖVP-Politik verantwortlich – die ÖVP ist für die ÖVP-Politik verantwortlich und die Grünen für die Politik der Grünen.
Im Papier finden sich viele bittere Pillen, die oft auch gegen alles gehen, wofür wir Grüne stehen und an dieser Stelle ist es nur angebracht zu sagen, dass ich unendlich dankbar für diese derart breit und öffentlich geführte Debattenkultur bin, die bei den grünen vorherrscht.
Viele Kolleginnen und Kollegen haben sich in den vergangenen Tagen sehr kritisch und auch ablehnend zum Regierungseintritt mit der ÖVP geäußert und denen möchte ich wirklich aufrichtig Danke sagen. Sie zeigen gut auf, dass es keine einfache Entscheidung ist und es ist wichtig, meine ich, dass auch die Öffentlichkeit sieht, dass es bei den Grünen mehr als eine Meinung gibt – im Gegensatz zu anderen Parteien.
Und diese Offenheit gilt es sich, denke ich, zu bewahren:
“Das war mit Kurz nicht zu machen” ist wohl erfrischender und ehrlicher als jedes Herumgerede, jede Rechtfertigung. Ich glaube, unsere Wählerinnen und Wähler verstehen das.
Worum es geht
Der Hintergrund ist doch folgender: Österreich steht unbestritten vor gewaltigen Herausforderungen. Wir befinden uns mitten in einer globalen Klimakrise, deren Auswirkungen längst unser kleines, behütetes Alpenland erreicht haben. Die nächsten Jahre werden so – man verzeihe mir meinen Ausdruck an dieser Stelle – verdammt wichtig sein für unsere menschliche Zukunft auf diesem Planeten. Es mag pathetisch klingen, aber es ist die Wahrheit.
Während wir nun jahrelange zugesehen haben, wie zuerst rot-schwarz und dann schwarz-blau nichts gegen die Ursachen der Klimakrise unternommen haben, gibt es jetzt eine womöglich einmalige Chance, dass Österreich die Pariser Klimaziele tatsächlich einhält und darüber hinaus zum Musterland in Sachen Klimaschutz wird.
Es geht um nichts weniger als die Zukunft der nächsten Generationen. Das alleine ist es wert, dieses Wagnis – und das ist es ohne Zweifel – einzugehen.
Das ist es auch, was wir den Wählerinnen und Wählern versprochen haben: Dass wir uns mit aller Kraft für die Wende in Sachen Klimaschutz einsetzen werden und nun ist es an der Zeit, dieses Versprechen einzulösen.
Diese Regierung hat das Potenzial in vielen Bereichen wichtige Weichen zu stellen, davon bin ich fest überzeugt.