Triggerwarnung: Suizid
Lisa-Maria Kellermann ist tot. Eine engagierte Allgemeinmedizinerin aus Oberösterreich, die seit Beginn der Corona-Pandemie genau das tat, was man sich von Ärtz*innen in einer solchen Krise erwartet: Sie half ihren Patient*innen. Als wäre das nicht schon genug, entdeckte sie auch die positive Wirkung eines Asthmamedikaments (ohne dafür beachtet zu werden), stellte Falschnachrichten richtig und warb aktiv für die Corona-Schutzimpfung – eine sehr wichtige Sache. Wer sie kannte, bezeichnet sie dieser Tage als liebe, stets freundliche, herzliche und quirrlige Person. Eine Frau, die in der Medizin nicht ihren Beruf, sondern eine Berufung gefunden hatte.
Kellermayr tat aber viel mehr, als nur zu helfen. Sie kritisierte die Politik und – vielmehr noch – zeigte wiederholt öffentlich auf, wie gefährlich die zahlreichen Corona-Demonstrierenden sein können, insbesondere als diese mit ihrem irregeleiteten Protest vor dem Welser Krankenhaus eine Rettungseinfahrt blockierten. Die Polizei bezeichnete das damals als Falschmeldung, ein gefundenes Fressen für die verblendete Querdenker*innen-Szene.
Sie erhielt viel mediale Aufmerksamkeit, wurde rasch selbst zur Zielscheibe von Verschörungstheoretiker*innen und Impfgegner*innen, erhielt Hassnachrichten, dann sogar Morddrohungen.
Ende November 2021 zeigte sie eines dieser Schreiben bei einer Polizeiinspektion an, machte die Drohungen öffentlich. Was folgte, war Ernüchterung.
Weil die Spur des Absenders ins ominöse“Darknet” führte, sah sich die Polizei nicht in der Lage, eine rechtliche Verfolgung einzuleiten. Die Praxis von Dr. Kellermayr wurde zwar täglich von einer Polizeistreife abgefahren, Polizeischutz erhielt sich trotz zahlreicher Drohungen dennoch nicht, obwohl Impfgegner*innen sich sogar als Patient*innen ausgaben und Beratungsgespräche mit der Ärztin filmten. Letztendlich war es eine deutsche “IT-Fetischistin”, wie sie sich selbst bezeichnet, die Kellermayr halt und auf eigene Faust die Identität eines Absenders ermittelte.
All das nutzte nichts. 100.000 Euro investierte Kellermayr in Überwachsungskameras und Personenschutz – deutlich höhere Ausgaben, als eine Allgemeinmedizinerin Einnahmen hat.
Als die oberösterreichische Polizei nach der Veröffentlichung weiterer Drohmails und herber Kritik an der fehlenden Hilfe seitens der Behörden meint, Kellermayr würde “in die Öffentlichkeit dringen”, um “das eigene Fortkommen zu sichern”, ist es Juni. Kurz darauf schließt die Ärztin ihre Praxis. Ende Juli wird sie dort tot aufgefunden. Die Polizei schließt Fremdverschulden aus.
Kellermayr hat sich bis zuletzt mit dem unaufhörlich auf die einprasselnden Hass alleine gelassen gefühlt und nicht die Hilfe bekommen, die es in dieser Situation gebraucht hätte. Zu behaupten, dass Kellermayr in den Tod getrieben worden wäre, ist vielleicht eine gewagte Behauptung und dennoch nicht ganz von der Hand zu weisen.
Dass einer öffentlich bekannten Ärztin, die über Monate hinweg unzählige Drohbriefe gegen Leib und Leben bekommt, diese staatliche Unterstützung versagt wurde, ist eine Blamage, ja eine Schande. Denn wie auch immer man es nun dreht und wendet: Es ist nicht gelungen, Kellermayr vor dem wütenden Mob zu schützen, obwohl die Ärztin nicht bloß ein weiteres Opfer von “Hass im Netz”, wie das so salopp dahingesagt wird, war, sonder die Täter*innen sie sogar in ihrer Praxis aufgesucht hatten.
Die Behörden sagen nun, man hätte alles getan, was möglich gewesen wäre. Doch dass sich eine Privatperson schwer verschulden muss, weil sie schutzlos einem gewaltbereiten Mob ausgeliefert ist, darf nicht sein – nicht in Österreich, und doch ist es passiert.
Die Geschichte von Lisa-Maria Kellermayr ist jedoch kein Einzelfall. Tagtäglich werden Mediziner*innen, Wissenschafter*innen, Journalist*innen, Politiker*innen und viele weitere in der Öffentlichkeit stehende Gruppen zum Ziel übelster Hass- und Drohnachrichten, Verwaltungs- und Tötungsfantasien miteingeschlossen. Doch nicht nur online, auch auf der Straße spielt sich diese Gewalt ab. Unlängst war etwa am Rande eines Besuchs von Bundespräsident Van der Bellen ein Gruppierung zu beobachten, die einen selbstgebauten Galgen mit sich trug – auch das blieb, soweit bekannt, ohne Konsequenzen.
Dieses Wegschauen und Gewährenlassen einer immer radikaler werdenden Gruppe ist nicht nur brandgefährlich für das Leben von Einzelpersonen, sondern letztlich auch fatal für eine intakte Demokratie und einen funktionieren Rechtsstaat. Immerhin hat Kellermayr nicht mehr oder weniger getan als das, was ihr und allen anderen Bürger*innen dieser Republik qua Verfassung zusteht: Sie hat ihre Meinung frei geäußert und ist ihrem Beruf nachgegangen, ohne anderen Schaden zuzufügen.
Schaden, den andere sehr wohl zugefügt haben – und sie sind damit davongekommen.
Politik und Behörden müssen aus dem Fall Kellermayr lernen, das Geschehene aufarbeiten, lückenlos untersuchen und Rückschlüsse ziehen, wie derartiges künftig verhindert werden kann. Man kommt nämlich nicht umhin, als den Eindruck zu gewinnen, dass Hass und Gewaltfantasien – besonders, wenn sie online und anonymisiert geäußert werden – seitens der Behörden nicht wirklich ernst genommen werden. Besonders das Innenministerium und die Polizei, die bei jeder Gelegenheit mit einer “Aktion scharf” (was auch immer das heißen mag) auffallen, wären gefragt, hier entschieden gegen radikale Querdenker*innen und gewaltbereite Teile der Gesellschaft vorzugehen sowie derartige Vergehen entschlossen zu verfolgen.
Was auch immer die Lehren sein werden, für Lisa-Maria Kellermayr kommt all das freilich zu spät. Möge ihr Name nicht in Vergessenheit geraten und andere, von Gewalt und Drohungen Betroffene die Hilfe erfahren, die Kellermayr leider bis zuletzt versagt blieb.